Pina Bausch gehört zu den bedeutendsten Choreographen des 20. Jahrhunderts. Mit der Entwicklung ihres „Tanztheaters“ begründete sie eine neue Theater-Gattung, eine durch Menschlichkeit und künstlerische Größe geprägte Meta-Sprache, die ihr und ihrer Company weltweit Ruhm und unzählige Ehrungen einbrachte.
Philippina (später genannt Pina) Bausch wurde am 27.7.1940 als drittes Kind von Anita und August Bausch in Solingen geboren. Die Eltern betrieben eine Gastwirtschaft mit kleinem Hotelbetrieb in der Focher-Straße am „Central“. Nur ein Gebäude trennte das Elternhaus von dem legendären Café Müller, in dem Pina Bausch schon als Fünfjährige während des Einkaufs Tanzschritte vorgeführt haben soll, und dem sie in ihrer gleichnamigen Choreographie „Café Müller“ 1978 ein Denkmal setzte.
Als Kind erhielt Pina Bausch Unterricht in der Ballettschule des Solinger Stadttheaters und nahm mit 15 Jahren ihr Tanzstudium an der Folkwang-Schule in Essen unter der Leitung von Kurt Jooss (1901-1979) auf, der Choreograph und Protagonist des zeitgenössischen Tanzes in der Tradition Rudolf von Labans (1879-1958) war. Sie besuchte die Akademie von 1955-1958. Noch zu Studienzeiten begeisterte sie 1957 als „Katze“ in der Jooss-Choreographie von Serge Prokofieffs „Peter und der Wolf“. Nach Abschluss ihres Studiums in den Fächern Bühnentanz und Tanzpädagogik mit dem erstmals ausgelobten Folkwang-Leistungspreis, tanzte sie 1959 die Rolle der „Liebesklage“ in der Jooss-Choreographie „Die Feenkönigin“ für die Schwetzinger Festspiele. Im gleichen Jahr erhielt sie ein Stipendium des DAAD für die USA, das ihr ermöglichte, als „special student“ an der Juillard School in New York bei berühmten Vertretern des Modern-Dance, unter anderem Martha Hill (1900-1995), José Limón (1908-1972) und Antony Tudor (1908-1987) zu studieren sowie in den Companien von Paul Sanasardo (geboren 1928) und Donya Feuer (1934-2011) Erfahrungen zu sammeln. 1961 arbeitete sie als Tänzerin beim „New American Ballet“ unter Paul Taylor (geboren 1933) und beim Ballett des Metropolitan Opera House.
1962 kehrte Pina Bausch nach Essen zurück, um als Solistin in dem neugegründeten Folkwang-Ballett unter der Leitung von Kurt Jooss ihre Tanzkarriere fortzusetzen. Neben Kurt Jooss arbeitete sie während der folgenden Jahre mit den Choreographen Antony Tudor, Lucas Hoving (1912-2000), Hans Züllig (1914-1992) und Jean Cébron zusammen, tanzte sowohl bei den Schwetzinger als auch Salzburger Festspielen.
Ab 1968 choreographierte Pina Bausch mit dem Stück „Fragmente“ (Musik: Béla Bartók) erstmals selbst für das Folkwang-Ballett. 1969 gewann sie mit ihrer Choreographie „Im Wind der Zeit“ (Musik: Mirko Donner) den ersten Preis beim Choreographie-Wettbewerb in Köln; im gleichen Jahr übernahm sie die Leitung des Folkwang-Tanzstudios und begann, an der Folkwang-Schule zu unterrichten (bis 1973).
1970 erarbeitete Pina Bausch als Gastchoreographin am Rotterdamer Danscentrum das Ballett „Nachmull“; 1971-1972 gastierte sie mit dem Folkwang-Tanzstudio-Ensemble an den Wuppertaler Bühnen, stellte die Kompanie sowohl deutschlandweit als auch in den USA vor und arbeitete als Gastsolistin und Choreographin für die Kompanie von Paul Sanasardo in New York.
1973 erhielt Pina Bausch den „Förderpreis für junge Künstler“ des Landes Nordrhein-Westfalen und wurde von dem Intendanten Arno Wüstenhöfer (1920-2003) zur Ballettdirektorin an die Wuppertaler Bühnen berufen. 1974 gab sie dort ihr Debut mit dem Stück „Fritz“ (Musik: Gustav Mahler); es entstand ihre erste abendfüllende Choreographie, die Tanzoper „Iphigenie auf Tauris“ (Musik: Willibald Gluck), des Weiteren: „Ich bring Dich um die Ecke“ (nach alten Schlagern), die Revue „Zwei Kravatten“ sowie „Adagio – fünf Lieder von Gustav Mahler“. Schon in diesen ersten Stücken deutet sich die Mischung unterschiedlicher Genres wie Gesang, Tanz, Alltagsgesten und Sprache an, Triviales und Erhabenes stehen nebeneinander. Mit einer weiteren Tanzoper 1975 „Orpheus und Euridike (Musik: Willibald Gluck), griiff Pina Bausch zwar noch auf das Bewegungsrepertoire des Modern Dance zurück, etabliert aber eine Synthese von Tanz und Oper, die es so bisher nicht gab.
Mit dem zweiteiligen Tanz-Abend „Die sieben Todsünden“ brach Pina Bausch 1976 definitiv mit den traditionellen Tanzformen, verstärkt trat die neue Richtung 1977 auch in „Blaubart – beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper `Herzogs Blaubarts Burg´“ hervor: Konsequent griff sie hier über die Grenzen des herkömmlichen Theaters hinaus, nutzte die Ausdrucksmittel jeder Sparte, inszenierte ein Konglomerat von dramatischen Szenen, verzichtete radikal auf konventionelle Tanzästhetik.
Neben ihrer Arbeit für das Tanztheater Wuppertal war sie Darstellerin in Federico Fellinis Film „e la nave va“ (1982). Ihr eigener Film „Die Klage der Kaiserin“ erschien 1989. Außerdem studierte sie für das Ballett der Pariser Oper ihre dreiteilige Choreographie „Le Sacre du Printemps“ (1997) ein und inszenierte für die Festspiele in Aix-en-Provence unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez (geboren 1926) die Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (1998); außerdem hatte sie seit 1983 die künstlerische Leitung der Tanzabteilung der Folkwang-Hochschule in Essen inne.
Pina Bauschs Arbeitsmethode bestand im Wesentlichen darin, ihren Tänzern Fragen und Aufgaben zu stellen, ihre Improvisationen genau zu beobachten, um aus der Fülle des Materials ein Stück zu entwickeln. „Da gab es wohl irgendwo einen Ausgangspunkt – und wo das dann hingeht, das entwickelt sich in den Proben. Es ist nicht wie geplant – es kommt einfach, durch uns alle zusammen Mit der Zusammensetzung der Gruppe hat vieles zu tun…“ (Hoghe, Pina Bausch - Tanztheatergeschichten, 1986, S. 21). Ihre intensive Arbeitsweise, die ständige Suche nach Authentizität bedingten einen nicht endenden Schaffensprozess, der ihre Choreographien offen, bis über die Premiere hinaus veränderbar, oft noch ohne Titel ließen.
Pina Bauschs Ensemble setzte sich aus Tänzern zusammen, die nicht der Ballettästhetik verpflichtet waren, sondern den Mut hatten, sich selbst und ihren Körper permanent zu hinterfragen und neu auf die Probe zu stellen. Tief verwurzelt sind die Themen in der Psyche jedes einzelnen, Ängste, Liebesleid, Macht und Ohnmacht, Vereinsamung, Antagonismen der Geschlechter, zwischenmenschliches Unverständnis und daraus resultierende Verzweiflung, gesellschaftliche Tabus und Zwänge.
Pina Bausch fand in ihrer radikalen Sprache eine zwischen Mythos und Realität changierende Bilderwelt, deren elementare Wucht durch die Stilmittel der Repetition und Parallelhandlungen einen Verstärker fanden. Unterstützt wurden ihre Inszenierungen durch den Bühnenbildner und Lebensgefährten Rolf Borzik (1944-1980), der Lebensräume schuf, oft geprägt durch natürliche Gegenstände wie Erde, Wasser, Bäume, Steine, Laub, deren haptische Wirklichkeit den Handelnden Erfahrungsraum verschaffte.
Bis zuletzt arbeitete Pina Bausch an ihrem über 50 Choreographien umfassenden Lebenswerk, für das sie rund 50 internationale Preise und Auszeichnungen, darunter den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig erhielt. Noch 2008 erarbeitete sie ihre Choreographie „Kontakthof“ aus dem Jahr 1978, die sie 2000 „mit Damen und Herren ab 65“ inszenierte, mit einer Gruppe Jugendlicher neu. Ein Film über das Jugendprojekt wurde von Anne Linsel 2010 unter dem Titel „Tanzträume“ veröffentlicht.
Die letzte Uraufführung „…como el musguito en la piedra, ay si, si, si…“ fand zwei Wochen vor Pina Bauschs Tod statt. Sie starb am 30.6.2009 in Wuppertal an Krebs und wurde unter weltweiter Anteilnahme auf dem evangelisch-reformierten Waldfriedhof in Elberfeld-Varresbeck beigesetzt.
Der Filmemacher Wim Wenders setzte ihr mit dem Film „Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“ 2011 ein Denkmal. Der Film erhielt sowohl den Deutschen Dokumentarfilmpreis als auch den Europäischen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „bester Dokumentarfilm“ für die Academy Awards 2012.
Pina Bauschs Lebenspartner Ronald Kay und ihr gemeinsamer Sohn Rolf-Salomon gründeten 2009 in Wuppertal die „Pina-Bausch-Stiftung“, um das Vermächtnis dieser großen Künstlerin, unter anderem in der Einrichtung einer Mediathek, zu wahren. * Portal Rheinische Geschichte